Was ist nur mit meinem Stoffwechsel los?

Es gibt Menschen, die können viel essen und bleiben schlank, andere aber legen sofort an Gewicht zu. «Das liegt an meinem Stoffwechsel», hört man dann. Doch was ist der Stoffwechsel überhaupt? Und warum werden die Menschen immer schwerer? Dr. med. Ursula Bärtsch, Endokrinologin an der SRO AG, kennt die Antworten.

Dr. med. Ursula Bärtsch winkt ab, als sie gefragt wird, was ein guter oder ein schlechter Stoffwechsel sei. Sie habe immer wieder Patienten, die würden gerne «ihren Stoffwechsel messen» lassen. Der Stoffwechsel, oder Metabolismus, wie es in der Fachsprache heisst, ist aber ein hochkomplexer Vorgang, der alle chemischen und physikalischen Reaktionen im Körper umfasst. Es gibt zahlreiche, unterschiedliche Stoffwechsel wie etwa den Kohlenhydratstoffwechsel, welcher Kohlenhydrate und Zucker zerlegt, denFettstoffwechsel, welcher dem Körper Energie liefert und auch speichert oder den Eiweissstoffwechsel, welcher dem Aufbau von Muskeln, aber auch von Hormonen, und dem Umbau und der Erneuerung des Gewebes dient. «Der Stoffwechsel dient dazu, jede Zelle des Körpers mit allem zu versorgen, was sie braucht, um gut zu funktionieren», so Ursula Bärtsch.

Zuckerkrankheit
Wenn der Stoffwechsel gestört ist, können jedoch Krankheiten entstehen. Eine der häufigsten Stoffwechselstörungen ist Diabetes. Diabetes Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das eigene Immunsystem die insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse zerstören. Somit fehlt das Insulin, welches der Körper eigentlich brauchen würde, um den Blutzucker zu regulieren. Diese Krankheit kann Menschen jeden Alters treffen. Sie hat nichts mit der Ernährung oder mit Übergewicht zu tun. Diabetes Typ 1 ist unheilbar.
Anders bei Diabetes Typ 2, welcher auch als Altersdiabetes bezeichnet wird. Von Diabetes Typ 2 sind vor allem übergewichtige oder krankhaft übergewichtige, sogenannt adipöse Menschen betroffen. Aber auch bei übergewichtigen Kindern und Jugendlichen tritt Diabetes Typ 2 immer häufiger auf. Bei dieser Erkrankung produziert die Bauchspeicheldrüse zwar viel Insulin, aber zu wenig, um den erhöhten Bedarf an Insulin zu decken, der dadurch entsteht, dass das Gewebe nicht mehr gut auf Insulin anspricht – man spricht dann von Insulinresistenz. Diabetes Typ 2 kann oft durch Gewichtsreduktion oder eine Umstellung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens positiv beeinflusst werden.

Beim Übergewicht ist neben vielen schwer fassbaren Stoffwechselstörungen oft eine gut messbare Störung des Kohlenhydratstoffwechsels im Spiel, ähnlich wie beim Diabetes. Übergewichtige haben oft auch eine Insulinresistenz und somit hohe Insulinspiegel im Blut. Dies hemmt die Fettverbrennung und macht Hunger. Dies wiederum führt zu weiterer Gewichtszunahme und weiterer Insulinresistenz, also zu einem Teufelskreis.

Frau Bärtsch, was ist der Grund, weshalb gemäss der Weltgesundheitsorganisation immer mehr Menschen übergewichtig sind?
«Es gibt mehrere Gründe. Ein wichtiger ist unsere sedentäre, also unsere sitzende Lebenshaltung. Wir bewegen uns kaum mehr. Das gilt heute nicht mehr nur als Unterlassungssünde, sondern als Risikofaktor. Wir sitzen bei der Arbeit am Computer, im Auto oder zu Hause vor dem Fernseher. Bei fast allen übergewichtigen Patienten, die ich in meiner Praxis sehe, ist Bewegungsmangel eine der Hauptursachen für ihr Übergewicht. Und Bewegung wird mit zunehmendem Gewicht immer schwieriger.»

« Der Stoffwechsel dient dazu, jede Zelle des Körpers mit allem zu versorgen, was sie braucht, um gut zu funktionieren.»

Gibt es noch weitere?
«Ja, die Ernährung mit zu viel energiereichen, verarbeiteten Produkten. Vor allem verarbeitete Lebensmittel und Fertigprodukte haben oft einen sehr hohen Zucker und Fettgehalt. Diese unbändige Lust nach Zucker, die ich bei vielen übergewichtigen Menschen sehe, eignet man sich bereits im Kindesalter an.»

Die ungesunde Ernährungsweise hat abgesehen von den zu vielen Kalorien noch andere ungünstige Konsequenzen: Seit einiger Zeit weiss man, dass sich bei ungesunder, d.h. energiereicher Ernährung (zu viel Zucker, zu viel Fett) die Zusammensetzung der verschiedenen Bakterienstämme (Darmmikrobion) im Darm verändert. Bakterienarten, die im Dickdarm besonders viel Kalorien aus dem Essen herauslösen können, nehmen überhand. Das führt zu Übergewicht. So nehmen Übergewichtige mehr Kalorien aus dem gleichen Essen auf als Schlanke. Dies erklärt wenigstens zum Teil die Beobachtung, dass es gute und schlechte Futterverwerter gibt. Zudem können die Darmbakterien über das vegetative Nervensystem oder über Substanzen, die sie produzieren, die Zentren im Gehirn beeinflussen, die das Sättigungsgefühl, die Gelüste und die Energieausgabe steuern.

Neuere Erkenntnisse lassen vermuten, dass auch Substanzen, die bei der Zersetzung von Plastik in die Umwelt und über die Nahrungskette in unser Essen gelangen, übergewichtsfördernd wirken.

Vielen ist gar nicht bewusst, wo überall Zucker drinsteckt.
«Das ist richtig. Deshalb kommt von medizinischen Fachgesellschaften ja immer wieder die Forderung nach einer besseren Deklaration der Lebensmittel zum Beispiel mit einem Ampelsystem. Auf jeder Packung sollte auf einen Blick klar ersichtlich sein, ob gar kein, wenig oder viel Zucker drin ist.» Die vorhandenen Deklarationssysteme haben aber noch Verbesserungen nötig.

Esskompetenz fördern
Ursula Bärtsch plädiert aber nicht nur für bessere Deklarationen der Lebensmittel, sondern auch dafür, dass in den Schulen Ernährung vermehrt zum Thema gemacht werden sollte. Wobei man hier natürlich auch die Erziehungsverantwortlichen ansprechen muss – denn Kinder übernehmen fast immer die Essmuster ihrer Eltern. Apropos übernehmen: Weshalb manche Menschen tatsächlich eine stärkere Veranlagung haben, übergewichtig zu werden als andere, kann daher kommen, dass die genetische Veranlagung von den Eltern an die Kinder weitergegeben wird. «Bei fast allen Patienten, die ich betreue, gibt es in der Familie stark übergewichtige Menschen», so Ursula Bärtsch.

Aber natürlich lässt sich Übergewicht nie nur mit einer Komponente erklären. Es ist immer das Zusammenspiel mehrerer Faktoren wie dem Essverhalten, zu wenig Bewegung, der Psyche und der Vererbung. Ausserdem führt Übergewicht zu einer Fehlfunktion des Hypothalamus im Gehirn, welcher unter anderem das Hungerund Sättigungsgefühl steuert: «Ich sehe Patienten in meiner Praxis, die mir sagen, dass sie immer Hunger hätten, egal was oder wie viel sie essen würden.»

Wie nimmt man am besten ab? Mit einer Diät?
«Nein. Wir reden heute auch nicht mehr von Diäten, sondern viel mehr von einer Ernährungsumstellung. Die Ernährung sollte ausgewogen sein und so umgestellt werden, dass man sie auf Jahre hinaus auch weiterführen kann. Man muss sich bewusst sein, dass sich der Körper bei jeder Kalorienreduktion sofort mit allen Mitteln dagegen wehren wird, Gewicht zu verlieren und die Nahrung besser verwertet. Wird dann wieder normal gegessen, das heisst kalorienreicher, führt dies zum berüchtigten Jo-Jo-Effekt – man wird schwerer, als man vor der Diät war.» Dagegen hilft nur ausreichende körperliche Betätigung.

Reicht es, das Ernährungsverhalten umzustellen?
«Wenn keine Bewegung mehr möglich ist, muss die Gewichtsreduktion über die Umstellung des Essverhaltens allein erfolgen, eventuell unterstützt durch Medikamente. Ein zweiter enorm wichtiger Faktor ist die Bewegung. Man muss nicht Leistungssportlerin oder Marathonläufer werden, um ein Normalgewicht zu erlangen. Aber man muss regelmässig etwas tun. Zügiges Marschieren, mindestens dreimal eine halbe Stunde die Woche, Nordic Walking, das Velo anstelle des Autos nehmen, Vereinssport oder ein Training auf dem Hometrainer helfen dabei, Gewicht zu verlieren und den Kalorienverbrauch des Körpers zu fördern.»

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