Tabuthema Stuhlinkontinenz
Vielen Betroffenen fällt es schwer, offen über Stuhlinkontinenz zu reden. Für eine bessere Lebensqualität ist eine sorgfältige Abklärung wichtig.
Keine beruflichen Termine mehr. Keine Treffen mit Freunden. Keine Reisen, Ausflüge oder Theaterbesuche. Menschen mit schwerer Stuhlinkontinenz ziehen sich oft ganz aus dem gesellschaftlichen Leben zurück. Das muss heute nicht mehr zwingend so sein, wie Dr. med. Michael Durband, Leitender Arzt Chirurgie, betont. Im Spital Langenthal wird neu eine vielversprechende Operation mit einem Beckenboden-Stimulator (Darmschrittmacher) angeboten.
Die Stuhlentleerung des gesunden Menschen wird vom zentralen Nervensystem sowohl unbewusst über Reflexe als auch willkürlich gesteuert. Ein komplexer Regelkreis, gesteuert durch viele feine Nerven sorgt dafür, dass kein Stuhl unkontrolliert abgeht (z.B. während des Schlafs), und unterstützt die Fähigkeit, den Stuhl im Enddarm bewusst zurückzuhalten und kontrolliert zu entleeren. Stuhlinkontinenz ist praktisch gleich häufig wie Harninkontinenz. In der Schweiz sind eine viertel Million Menschen davon betroffen, mehrheitlich Frauen und ältere Menschen. Anatomische Begebenheiten wie Darmsenkung oder Darmvorfall können zu Inkontinenz führen. Bei Frauen sind schwache Beckenbodenmuskeln aufgrund von schweren Geburten oder die Schädigung der Schliessmuskulatur häufig. Ebenso ein Vorfall der Gebärmutter oder des Enddarms. Auch ausgeprägte Hämorrhoiden können, besonders wenn diese in der Vergangenheit operiert wurden, zu einer Schwäche des Schliessmuskels führen. Neurologische Störungen können bei Hirntumor, multipler Sklerose, Hirnschlag oder als Spätfolge eines Diabetes mellitus eintreten. Ein Unterbruch oder eine Störung der Nervenleitung im Rückenmark bewirkt Stuhlinkontinenz durch Sensibilitätsausfall und/oder Verlust der motorischen Versorgung. Dies kommt unter anderem vor bei Querschnittlähmung.
Diagnose
Neben einer exakten ärztlichen Befragung (Krankheitsgeschichte) werden teilweise Spezialuntersuchungen wie ein Ultraschall des Schliessmuskels oder eine anale Druckmessung notwendig. Letztere erfasst die effektive Kraft des Schliessmuskels, aber auch Gefühls- oder Koordinationsstörungen. Darmspiegelung und Magnetresonanztomografie sind weitere Abklärungsmethoden.
Therapien
Manchmal ist eine diätetische oder medikamentöse Therapie ausreichend. Grundsätzlich wird immer mit einer konservativen Therapie begonnen. Mit einer Stuhlregulierung wird die Normalisierung der Stuhlkonsistenz und der Darmpassagezeit angestrebt. Ein hoher Faseranteil in der Ernährung beeinflusst die Stuhlkonsistenz positiv. Als Quellmittel bewähren sich Flohsamen. Unterstützend sind physiotherapeutische Massnahmen wie Beckenbodentraining.
Neue Lebensqualität dank Beckenboden-Stimulator (Darmschrittmacher)
Für einige Formen der Inkontinenz gibt es operative Verfahren. Führen weder diese noch konservative Therapien zum gewünschten Erfolg, bietet das Spital Langenthal neu eine vielversprechende Operationstechnik an. Seit rund einem Jahr wird die Implantation eines Beckenboden-Stimulators (sakrale Neuromodulation), umgangssprachlich als Darmschrittmacher bezeichnet, durchgeführt. «Eine bewährte Therapie, wenn das ursächliche Problem wie z.B. ein Darmvorfall behoben ist, sich die Stuhlinkontinenz jedoch nicht wesentlich verbessert hat. Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der Gastroenterologie (Koloskopie und Manometrie) und der Physiotherapie (Beckenbodentraining) können wir diese Therapie anbieten. Gleichzeitig erfüllen wir damit die Bedingungen der Krankenkassen bezüglich der Leistungspflicht», erläutert Michael Durband. Viele Menschen genieren sich, über die Inkontinenz zu reden. Exemplarisch berichtet der Viszeralchirurg von einer 50-jährigen Patientin, die er im Frühjahr erfolgreich operiert hat. Schon als junge Frau musste sie Einlagen benutzen, weil trotz eines operierten Darmvorfalls der Schliessmuskel nicht mehr richtig funktionierte. Regelmässig ist die berufstätige Patientin im eigenen Stuhl aufgewacht. Sie hat nicht einmal ihrer Familie davon erzählt.
Erst als der Leidensdruck unerträglich wurde, konsultierte sie einen Spezialisten. Nach dem Einsetzen des Beckenboden-Stimulators haben sich die Beschwerden schlagartig deutlich verbessert. «Bei den Verlaufskontrollen beteuerte die glückliche Patientin, sie werde das Gerät nie mehr hergeben. Diese massive Erhöhung der Lebensqualität ist auch für mich als Chirurg immer wieder schön zu erleben», sagt Michael Durband.