Sancho... unser flauschigster Mitarbeiter
Auf der stationären Psychiatrie ist ein Therapeut auf vier Pfoten der Liebling aller Patienten. Königspudel Sancho sorgt für eine familiäre Atmosphäre und hat positive Auswirkungen auf das Erleben und Verhalten der Patienten. «Er besitzt die Fähigkeit, Menschen zu spüren», sagt seine Besitzerin, Rita Mainardi, dipl. Pflegefachfrau Psychiatrie.
Rita Mainardi, Sie arbeiten seit 2008 als dipl. Pflegefachfrau Psychiatrie im SRO. Seit vielen Jahren mit dabei ist ihr vierbeiniger Begleiter Sancho. Können Sie etwas über den aussergewöhnlichen Hund und seinen Tagesablauf erzählen?
Sancho spürt die Menschen. Das ist nicht eine Frage der Ausbildung, sondern des Charakters und er bringt diese Wesensmerkmale mit. Entweder hat ein Hund diese Fähigkeit oder er hat sie nicht. Natürlich kann man diese fördern. Wir besuchen bis heute regelmässig die Hundeschule. Aus Freude an der Abwechslung, an der Bewegung und um Neues zu lernen. Er sucht immer den Kontakt zu den Leuten. Morgens in der stationären Psychiatrie angekommen, will er mit dem Lift in den 1. Stock fahren und marschiert schnurstracks in den Frühstücks raum. Intuitiv weiss er sofort, wer Nachtdienst hatte. Denn von «Hanni» gibts jeweils ein Hundegudeli.
Ist Sancho selbstständig als Therapeut unterwegs, während Sie Ihrer Tätigkeit nachgehen ?
Ja, er ist frei von der Leine und trägt stattdessen ein Bandana in verschiedenen Farben um den Hals ‒ sein Markenzeichen. Aktivitäten sind nicht bei allen Patienten beliebt. Ist hingegen Sancho mit von der Partie und geht begeistert voran, motiviert das praktisch alle zu gemeinsamen Spaziergängen in der Natur. Bellen hört man Sancho nicht. Höchstens ein kurzes «Wuff», wenn die Türe zum Rapportraum geschlossen ist und er daran «teilnehmen» möchte. Und sollte Rita Mainardi mal vergessen, seinen Wassernapf zu füllen, bringt er immer jemanden dazu, ihm frisches Wasser zu geben.
Was bewirkt seine Anwesenheit auf der Station ?
Sancho ist intelligent, fröhlich und geduldig. Allein sein Dasein vermittelt eine familiäre Atmosphäre. Interessant ist, dass der Hund nicht unterscheidet zwischen Patienten und Mitarbeitern. Er wertet nicht. Für ihn sind alle Menschen gleich. Er spürt genau, wer ihn braucht. Das kann man beobachten, wenn er sich neben einen Mann legt, der auf der Couch schlummert. Trotz seiner Grösse hat niemand Angst vor ihm. Dank seiner ruhigen Ausstrahlung vermittelt er Geborgenheit und Sicherheit. Es gibt sogar Patienten, die ihn am Eintrittsgespräch dabeihaben wollen, damit sie nicht allein sind.
Weshalb ist Sancho ein «Eisbrecher»?
Für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen ist Sancho besonders wertvoll. Gerade in einer psychischen Krise ist es oft schwierig, zu fremden Menschen eine Beziehung aufzubauen und sich zu öffnen. Einen Zugang zu ihm zu finden, fällt hingegen allen leicht. Während der Corona-Pandemie war seine Anwesenheit besonders wertvoll. Oft war er der einzige körperliche Kontakt, den die Patienten noch hatten. Das Streicheln des fein gekräuselten, wolligen Hundefells beruhigt und vermittelt emotionale Nähe. Übrigens verliert ein Königspudel kaum Haare, ein Fellwechsel findet nicht statt. Deshalb eignet sich der Hund auch für Allergiker.
Einfühlsam begrüsst er einen Patienten und legt behutsam seinen Kopf auf seinen Arm: «Ich freue mich immer, wenn Sancho ‹Dienst› hat. Er tut uns allen gut. Einmal entdeckte er ein Säckli mit Hundegudeli und brachte es in die Runde im Aufenthaltsraum, damit wir es öffnen.» Mit seinen braunen, treuen Augen blickt er eine junge Patientin an, die den einzigartigen Hund ins Herz geschlossen hat und sich innig von ihm verabschiedet: «Ich möchte ihn am liebsten mitnehmen. Sancho scheint einem in die Seele zu sehen.»
Und selbst nach einem langen Arbeitstag, wenn Rita Mainardi mit dem Rad heimfährt, sucht Sancho den Kontakt zu Passanten, um sich weitere Streicheleinheiten abzuholen.