Der schiefe grosse Zeh

Hallux valgus ist der Fachausdruck für das am meisten verbreitete Fussproblem, denn jeder Dritte leidet darunter: unter einem schiefen grossen Zeh. Sind wirklich die falschen Schuhe schuld daran, oder gibt es doch noch andere Gründe für diese Fehlstellung? Dr. med. Jasmin Diallo, Leitende Ärztin Orthopädie, klärt auf.

Der menschliche Fuss besteht aus 49 Knochen, 33 Gelenken, 20 Muskeln und 122 Bändern – eine sehr komplexe Konstruktion, welcher wir oft erst dann erhöhte Aufmerksamkeit schenken, wenn unsere Füsse anfangen zu schmerzen. Eine der Hauptaufgaben des Fusses ist es, unser Körpergewicht zu tragen. Dieses wird auf der Ferse, den Kleinzehenballen und den Grosszehenballen verteilt. Beim Gehen werden 50 Prozent unseres Körpergewichtes über den grossen Zeh in den Boden eingeleitet. Nun kann man sich vorstellen, welche Kräfte auf diesen doch im Vergleich sehr kleinen Bereich wirken. Und je schwerer man ist, desto grösser ist auch diese Belastung.

«Hohe Schuhe können tatsächlich dazu beitragen, dass ein Hallux valgus entsteht.» (Dr. med. Jasmin Diallo)

Was ist ein Hallux valgus?

Auf den ersten Blick könnte man denken, dass sich beim Grundgelenk des grossen Zehs ein überschüssiger Knochen bildet, welcher dann unangenehm in den Schuhen drückt. Doch das eigentliche Problem liegt an anderer Stelle, wie Dr. med. Jasmin Diallo erklärt: «Das Problem fängt weiter hinten im Fuss an, nämlich im Bereich des ersten Mittelfussknochens. Dieser kann zur Körpermitte hin abkippen, und was man dann als Vorwölbung sieht, ist das vordere Ende respektive das Köpfchen des ersten Mittelfussknochens. Weil ganz vorne am grossen Zeh wiederum eine starke Sehne nach hinten zieht, kippt der grosse Zeh nun in die Gegenrichtung und es entsteht das klassische Bild eines Hallux valgus.»

Ursachen

Es gibt verschiedene Ursachen für einen Hallux valgus, doch die mit über 70 Prozent weitaus häufigste ist die genetische Veranlagung. Wenn also Vorfahren in der Familie bereits einen Hallux valgus hatten, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass man die Veranlagung für diese Fehlstellung geerbt hat. Die Beschaffenheit unserer «Baumaterialien» ist genetisch vorgegeben. Somit kann ein Hallux valgus durch eine genetisch zu «weiche» Festigkeit des Fussgerüstes entstehen. Es gibt jedoch weitere Faktoren, die die Entstehung begünstigen, wie Dr. Diallo weiss: «Hohe Schuhe können tatsächlich dazu beitragen, dass ein Hallux valgus entsteht, denn das gesamte Körpergewicht, das sich normalerweise auch auf die Ferse verteilt, lastet nun auf dem vorderen Bereich des Fusses. Kommt dann noch ein enger Zehenraum des Schuhs dazu, also ein spitz zulaufender Schuh, werden die Zehen zusätzlich eingeengt, was eine Fehlstellung zudem fördern kann.» Hinzu kommen noch weitere Ursachen wie weiche Bänder, eine generelle Überbeweglichkeit, andere Fehlstellungen des Fusses (wie zum Beispiel der Plattfuss), Rheuma etc. Und ein Hallux valgus tritt nicht nur bei älteren Menschen auf, wie die Fachärztin bestätigt: «Auch Jugendliche sind betroffen, da dies kein altersbe ingtes Krankheitsbild ist.»

Was tun?

Die Spezialistin für Fuss- und Sprunggelenkchirurgie betont, dass nicht in jedem Fall operiert werden muss: «Solange keine Beschwerden bestehen, muss man auch nichts machen, denn die Fehlstellung an sich ist nicht gefährlich und keine Indikation für eine Operation. Wenn jedoch Beschwerden auftreten, sollte man in einem ersten Schritt mit nicht operativen Therapieoptionen beginnen.»

Konservative Therapie

Da der Hallux valgus in den meisten Fällen mit einem sogenannten Spreizfuss einhergeht (Abfallen oder Abflachen des Fussquergewölbes), können in einem ersten Schritt orthopädische Schuheinlagen helfen, die nach Mass gefertigt werden. Wichtig ist dabei, dass die sogenannte Pelotte genau an der richtigen Stelle liegt und damit das Fussquergewölbe wieder etwas anhebt. Bei Pelotten, die man einzeln kaufen kann, um sie in die Schuhe zu kleben, ist es meist schwieriger, genau die richtige Stelle zu treffen. Es gibt auch eine Vielzahl von Hilfsmitteln wie Bandagen oder Schienen, die bei regelmässigem Tragen eine Korrektur versprechen. Diese Hoffnungen muss Dr. Diallo relativieren: «Natürlich kann eine Schiene die Fehlstellung beheben, solange diese getragen wird. Wird sie jedoch vom Fuss entfernt, ist auch die Fehlstellung sofort wieder da. Dies hängt, wie schon gesagt, damit zusammen, dass sich vorne am grossen Zeh die bereits erwähnte Sehne ansetzt, welche den grossen Zeh über ihren Zug in Schieflage bringt. Ist der grosse Zeh erst mal abgekippt, nimmt die Schieflage aufgrund des Sehnenzuges immer weiter zu. Gegen diese Zugkraft kommt keine Schiene an und auch durch die Schuheinlage kann nur eine Entlastung erreicht werden, jedoch keine Korrektur der Fehlstellung.» Es gibt auch die Möglichkeit, die Fussmuskulatur durch gezielte Übungen zu stärken (sogenannte Spiraldynamik), doch auch diese Anstrengungen dienen lediglich einer Linderung der Beschwerden und sind unterstützend zu einer Schuheinlage empfehlenswert.

Wenn alles nichts hilft...

... und die Beschwerden bleiben, dann muss eben doch operiert werden. Leider ist die operative Korrektur eines Hallux valgus etwas in Verruf geraten, bestätigt die Leitende Ärztin: «Tatsächlich gibt es Patienten, die eine schlechte Erfahrung mit einem operativen Eingriff in diesem Bereich gemacht haben oder von Bekannten negative Erfahrungen berichtet bekommen. Es ist schon so, dass man als Arzt Erfahrung braucht, um diese Operationen erfolgreich durchzuführen. Es gibt über 100 Techniken, um eine Hallux-valgus-Fehlstellung zu korrigieren. Jeder Operateur benutzt dann je nach Ausbildung und Erfahrungen jene Techniken, welche erlernt wurden und auch gemäss den neuesten medizinischen Erkenntnissen gezeigt haben, dass sie funktionieren. Ich selbst wende fünf verschiedene Techniken an. Und hier ist es wichtig, genau zu wissen, wann ich welche dieser Techniken anwende, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.» Die Fehlstellungen der Knochen werden meist so korrigiert, dass einer oder zwei Knochen im vorderen Bereich am Fuss durchtrennt, wieder in die korrekte Stellung gebracht und mit Schrauben fixiert werden müssen. In schweren Fällen muss zusätzlich sogar das kleine Gelenk zwischen dem ersten Mittelfussknochen und einem Fusswurzelknochen versteift werden, um den grossen Zeh nachhaltig in der korrekten, begradigten Position zu halten. Trotz dieser Versteifungen und Schrauben, die bei allen Varianten komplett im Knochen versenkt werden und meist nicht entfernt werden müssen, ist das Gehen anschliessend problemlos möglich, wie Jasmin Diallo betont.

 

Schmerzen und Therapie

Dies bestätigt auch die Patientin Corinne L., die ihren Hallux valgus vor ein paar Monaten nach langem Zögern im SRO hat operieren lassen: «Ich hatte Beschwerden, die sich in den letzten zehn Jahren deutlich verschlimmert haben. Das hat mich vor allem in meiner Bewegung und im Sport sehr eingeschränkt. Trotzdem hatte ich Vorbehalte gegenüber einer Operation, weil man ja immer wieder hört, wie schmerzhaft dieser Eingriff sei ...» Trotzdem hat sich die Patientin nach einer gründlichen Abklärung für eine Operation entschieden und hat es nicht bereut: «Ich habe den Eingriff unter Vollnarkose durchführen lassen, da ich Respekt vor dieser Operation hatte. Als ich aus der Narkose aufgewacht bin, hatte ich überhaupt keine Schmerzen, und auch in den zwei Tagen im Spital war ich komplett schmerzfrei.» Auch die Heilung verlief problemlos, wie Corinne L. bestätigt. «Natürlich muss man sich an das halten, was der Arzt einem sagt. Und die Physiotherapie hat einen ganz grossen Anteil daran, dass es mir heute so gut geht.» Eine frühe Physiotherapie ist wichtig, um die Schwellung zu reduzieren, die Narben zu behandeln und vor allem auch, um die Beweglichkeit wiederherzustellen. Corinne L.: «Man muss sich bewusst sein, dass es Zeit und Geduld braucht, bis alles gut verheilt ist. Durch die gute Information und Betreuung im Spital Langenthal wurden mir meine Sorgen genommen und ich würde den Eingriff noch mal machen lassen. Man muss sich in der ersten Zeit einfach etwas Ruhe gönnen, da man sechs Wochen mit einem Spezialschuh laufen muss und auch die Physiotherapie über mehrere Monate nötig ist. Aber wie gesagt: Für mich hat sich diese Operation absolut gelohnt. Sie hat mir das zurückgegeben, was ich für so lange Zeit vermisst habe: mich endlich wieder schmerzfrei an der frischen Luft bewegen zu können.»

Text: Nathalie Beck
Fotos: Manuel Stettler, stettlerphotography.ch

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