Blut – mehr als einfach nur rot
Blut fliesst durch unseren gesamten Körper und ist selbst in den kleinsten Gewebeteilchen zu finden – buchstäblich vom Scheitel bis zur Sohle. Bewusst wird uns dies oft erst, wenn wir uns verletzen und Blut fliesst. Doch unser Blut ist viel mehr als einfach nur eine rote Flüssigkeit.
Wenn wir uns einen Mikroliter (das ist der millionste Teil eines Liters) Blut anschauen, der nicht einmal so gross ist wie ein Stecknadelkopf, ist er auf den ersten Blick einfach nur rot. Doch bei genauerem Hinsehen entdeckt man viel mehr: Unser Blut besteht etwa zur Hälfte aus einem flüssigen Anteil, dem Blutplasma, und zur anderen Hälfte aus festen Bestandteilen, den Blutkörperchen.
Was ist Blut?
Dr. med. Peter Keller, Leitender Arzt Hämatologie, erklärt: «Das Blutplasma besteht zu etwa 90 Prozent aus Wasser, der Rest sind verschiedene Eiweisse, Nährstoffe und Salze. Die festen Bestandteile im Blut sind die roten Blutkörperchen, die dem Blut auch seine Farbe geben, die weissen Blutkörperchen und die Blutplättchen. Dabei sind die roten Blutkörperchen, die sogenannten Erythrozyten, mit 99 Prozent in der absoluten Mehrheit, denn in einem Mikroliter Blut finden wir rund 5 Millionen davon. Das restliche Prozent teilen sich die Blutplättchen, die Thrombozyten mit ca. 250 000 Stück, und die weissen Blutkörperchen, die Leukozyten mit ca. 5000.»
Ein erwachsener Mensch trägt, je nach Geschlecht und Grösse, zwischen 4.5 und 6 Liter Blut in sich. Die Blutzellen entwickeln sich im Knochenmark, wo die sogenannten Blutstammzellen rote und weisse Blutkörperchen sowie Blutplättchen produzieren.
Funktionen des Blutes
Die Hauptaufgabe der roten Blutkörperchen besteht darin, den Sauerstoff, der in der Lunge aufgenommen wird, durch die Blutgefässe, die den Körper wie ein riesiges Strassennetz durchziehen, in den gesamten Körper und in alle Organe zu transportieren. Peter Keller erläutert: «Die Zellen unseres Körpers verbrauchen den Sauerstoff und gewinnen dabei Energie. Das hier entstehende Abfallprodukt Kohlenstoffdioxid wird zurück in die Lunge transportiert und letztlich ausgeatmet.» Eine ähnliche Transportaufgabe hat auch das Blutplasma: Kommt das Blut zum Darm, werden dort verschiedenste Nährstoffe vom Blut aufgenommen und schwimmen im Plasma weiter zu den Körperzellen, wo sie weiterverarbeitet werden. Giftige Abfallstoffe werden gleichzeitig an das Plasma abgegeben und in der Leber und den Nieren abgebaut.
Die «Körperpolizei»
Die weissen Blutkörperchen werden im Volksmund auch oft als «Körperpolizei» bezeichnet, da ihre wichtigste Aufgabe darin besteht, Eindringlinge wie Bakterien, Viren oder Pilze zu erkennen und gegen sie vorzugehen. Weisse Blutkörperchen können sich selbstständig fortbewegen und sich im Ernstfall schnell vermehren, wodurch eine rasche Bekämpfung der Eindringlinge gewährleistet ist.
Die Blutgerinnung
Wenn wir uns beispielsweise schneiden, können nicht nur Bakterien eindringen, die dann von den weissen Blutkörperchen bekämpft werden, sondern es tritt auch Blut aus. Damit dieses jedoch nicht endlos weiterläuft und wir verbluten, treten die Blutplättchen auf den Plan. «Die Blutplättchen sorgen dafür, dass bei einer Verletzung die Wände des verletzten Blutgefässes innert kurzer Zeit abgedichtet werden. Durch einen Gelierungsprozess entsteht zwischen den Blutplättchen ein feines Netz aus Eiweissfäden, in welchem sich durch die Blutplättchen ein Pfropf mit erhöhter Stabilität bildet. Dadurch kann die Blutung gestoppt werden», erklärt der Hämatologe.
Liegt bei einem Patienten eine Blutgerinnungsstörung vor, kann diese durch gezielte Medikation behandelt werden, weiss Peter Keller: «Durch einen Gerinnungstest im Labor können wir den Gelierungsprozess messen. Läuft dieser zu schnell ab, ist das Blut zu dick und es besteht die Gefahr, dass Gefässe durch Blutpfropfen, sogenannte Thrombosen, verstopft werden. Ist der Gerinnungsprozess hingegen verzögert, verläuft die Gerinnung zu langsam und das Blut ist zu dünn, was zu spontanen Blutungen führen kann. In beiden Fällen ist eine sehr genaue Medikation erforderlich.»
Blut – der Spiegel des Körpers
Auch sonst kann durch Blutuntersuchungen im Labor vieles entdeckt werden. Manuela Widmer, Bereichsleiterin Labor im Spital Langenthal, erklärt: «Etwa 80 Prozent aller Untersuchungen in unserem Labor sind Blutuntersuchungen. Die bekanntesten Analysen sind sicher das kleine und das grosse Blutbild, in welchem die Zusammensetzung der einzelnen Blutkörperchen angeschaut und der Hämoglobinwert gemessen wird, der anzeigt, ob genügend Blut vorhanden ist oder eine Blutarmut vorliegt.»
Beim grossen Blutbild legt man den Fokus zusätzlich auf die Zusammensetzung der weissen Blutkörperchen, von denen es fünf Arten gibt, die sich durch verschiedene Aufgaben unterscheiden und ergänzen. Durch die Anzahl der weissen Blutkörperchen jeder Art kann ein Arzt Rückschlüsse daraus ziehen, was die Ursache verschiedener Krankheiten sein könnte.
«Auch für die meisten Organe sind im Blut typische Werte ersichtlich», ergänzt Manuela Widmer. «Daher ist es uns möglich, das Blut je nach vermuteter Krankheit auf ganz spezifische Werte hin zu untersuchen, die vom Arzt angeordnet werden.» Auch Notfallanalysen werden im Labor gemacht: «Diese sind zum Beispiel bei Verdacht auf Herzerkrankungen und Schlaganfälle notwendig, um damit rasch die Diagnosen zu bestätigen. Herzmuskelenzyme, Gerinnungsfaktoren und Entzündungswerte sind hier Faktoren, die von besonderem Interesse sind.»
Bluterkrankungen
Auch das Blut kann krank werden. In den meisten Fällen verändert sich die Zusammensetzung des Blutes dann erheblich, was ebenfalls durch eine Laboruntersuchung festgestellt werden kann. Hat man zum Beispiel zu wenig rote Blutkörperchen, spricht man von Blutarmut (Anämie). Kann das Blut Wunden nicht ausreichend verschliessen, ist die Blutgerinnung gestört oder es sind zu wenig Blutplättchen vorhanden. Um der Ursache gewisser Veränderungen auf den Grund zu gehen, sind meist weitere Untersuchungen notwendig, denn es können im Blut nicht nur spezifische Baustoffe wie Eisen fehlen, sondern es könnte gar die Produktion im Knochenmark gestört sein.
«Die bekannteste Bluterkrankung ist wohl die Leukämie, eine Krebserkrankung der weissen Blutkörperchen», erläutert Peter Keller. «Dabei werden die weissen Blutkörperchen spezifisch unter dem Mikroskop untersucht. Entdeckt man viele weisse Blutkörperchen mit einem sehr unreifen Erscheinungsbild, kann dies auf eine Leukämie hinweisen.»
Mehr als einfach nur rot
Fest steht: Durch eine Blutuntersuchung kann vieles, was im Körper vor sich geht, erkannt oder bestätigt werden. Blut wird nicht umsonst oft der «Lebenssaft» genannt, denn ohne Blut können wir nicht leben – und es kann auch durch nichts ersetzt oder künstlich hergestellt werden. Denn unser Blut ist enorm komplex und definitiv mehr als einfach nur rot.
Text: Nathalie Beck
Fotos: Manuel Stettler, stettlerphotography.ch