Auch Männer haben «Wechseljahre»
Testosteron ist für eine normale männliche Entwicklung und für einen gesunden Organismus wichtig. Doch nicht jeder leicht tiefere Wert führt automatisch zu Beschwerden und ist behandlungsbedürfig. «Künstliches Testosteron ist weder ein Lifestyleprodukt noch eine Anti-Aging-Medizin», betonen unsere Fachärzte in der Urologie.
Den grossen Einfluss von Testosteron für die embryonale Entwicklung im Mutterleib bezeichnen die Urologen als zentralen Punkt: «Das bedeutet, dass der primäre Bauplan der Frau durch das Testosteron komplett umgewandelt wird in jenen des Mannes. Ohne das Hormon würde aus dem Embryo automatisch in einem ersten Schritt ein Mädchen entstehen. Testosteron aber bewirkt, dass sich aus den frühen Genitalanlagen männliche Geschlechtsteile bilden.»
Bei der körperlichen Entwicklung vom Kind bis zum geschlechtsreifen Mann spielt Testosteron eine bedeutende Rolle. In der Pubertät aktivieren die Hormone die Produktion der Samenzellen, um die Testosteronproduktion zu steigern. Dadurch bilden sich sekundäre männliche Geschlechtsmerkmale heraus (z.B. tiefe Stimme, Muskelmasse, Körperbehaarung usw.). Als absolutes Hauptandrogen wird Testosteron im männlichen Körper zu 95 % im Hoden und zu 5 % in der Nebennierenrinde produziert. Die Pubertät beginnt bei Jungen mit etwa zwölf Jahren, rund zwei Jahre später als bei Mädchen.
Natur kennt keine Norm
Testosteron beeinflusst unter anderem die Fortpflanzungsfähigkeit, die Sexualfunktionen, das Muskelwachstum, die Knochendichte und reguliert den Fettstoffwechsel. Die Konzentration dieses Hormons nimmt ab dem 35. bis 45. Lebensjahr kontinuierlich ab ‒ später kommt der Mann in die «Wechseljahre». Diese kennzeichnen einen Lebensabschnitt bei Männern, in welchem häufig ein niedriger Testosteronspiegel, kombiniert mit verschiedenen Alterserscheinungen, auftritt.
«Es gibt keine starren Grenzen. Wir sind alles unterschiedliche Menschen und was für den einen normal ist, ist für den anderen überhaupt nicht so», erklären die Spezialisten. Als normal gilt ein Hormonspiegel von 12 nmol pro 24 Std. Doch nicht jeder Testosteronwert stimmt mit dem Individuum überein. Das verdeutlicht sich am Beispiel der südafrikanischen Läuferin Caster Semenya. Die Olympiasiegerin und Weltmeisterin hat einen natürlich erhöhten Testosteronwert. Sie hat sich dagegen gewehrt, dass Frauen wie sie nur dann bei internationalen Wettkämpfen starten dürfen, wenn sie ihren Testosteronspiegel medikamentös senken.
Was es mit der «Andropause» auf sich hat
Manch reifer Mann hat ähnliche Symptome wie Frauen in der Menopause. Eine vergleichbare hormonelle Umstellung, so wie wir sie bei der Frau in den Wechseljahren kennen, gibt es beim Mann nicht. Nichtsdestotrotz können Männer teilweise sehr ähnliche Symptome aufweisen. Testosteronmangel im Alter wird manchmal auch als «Andropause» bezeichnet. Dieser Begriff ist nicht korrekt, da die Hormonspiegel nicht abrupt absinken. Die fruchtbare Phase bei Männern ist nicht irgendwann ganz vorbei. Es handelt sich vielmehr um einen individuellen Prozess, der ab 35 beginnt. Es gibt Männer, die mit 70 noch hohe Werte aufweisen.
Bei einigen Männern sind die Symptome derart ausgeprägt, dass die Lebensqualität stark herabgesetzt ist. Sie leiden unter Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Antriebslosigkeit und Erektionsproblemen. Hinzu kommen Gewichtszunahme, aber schwindende Muskeln. In diesen Fällen kann eine Testosteronersatztherapie (TRT) unter Umständen helfen.
Wann kommt eine Hormonersatztherapie in Betracht?
Ein hormoneller Eingriff kann auch Probleme verursachen. Im Blut eines gesunden Mannes schwankt die Testosteronkonzentration zwischen einem morgendlichen Maximum und einem Tief am Nachmittag. Mit dem externen Zuführen erhöht sich der Testosteronspiegel auf einen Schlag.
Eine Therapie kommt nur infrage, wenn niedrige Testosteronwerte im Blut nachweisbar sind und gleichzeitig eine behandlungsbedürftige Symptomatik dieses Defizits vorliegt. Danach sind Testosteronwerte von über 11 nmol/l Blutserum normal, unter 8 bis 9 zu tief. Die Männer reagieren jedoch unterschiedlich. Untersuchungen ergaben, dass einzelne Symptome unterschiedliche Schwellenwerte haben. So wird ein Verlust von Libido und Antriebskraft bereits unter 15 nmol/l beobachtet, während eine erektile Dysfunktion oder Schwitzen erst unter 8 nmol/l eintreten. Vorsicht ist bei jüngeren Männern geboten. So wissen die wenigsten Patienten, dass die externe Testosteronzufuhr die Bildung von Spermien reduziert und deren Qualität beeinflusst. Deshalb ist eine TRT für junge Männer, die später ein Kind zeugen möchten, ein absolutes «No-Go». Beim Absetzen der Zufuhr dauert es mindestens zwei Jahre, bis die Spermien wieder normal produziert werden. Dessen sind sich insbesondere junge Bodybuilder nicht bewusst, die sich auf das schnelle Muskelwachstum fokussieren.
Welche Voraussetzungen braucht eine Therapie?
Vor Therapiebeginn muss bei Patienten über 45 Jahre ein Prostatakarzinom durch Tastuntersuchung und Bestimmen des Prostatablutwerts (PSA) klar ausgeschlossen werden. Testosteron kann das Wachstum eines bestehenden Tumors fördern.
Das Prostatakarzinom ist der häufigste Tumor des Mannes. Ein wichtiges Thema ist die Früherkennung. Männer ab 50, bei familiärer Belastung ab 45 Jahren, sollten sich einmal gründlich von einem Urologen beraten und abhängig davon einen PSA-Test machen lassen.
Dieses Wissen macht man sich auch in den Therapien für Prostatakrebs zunutze. Der Hormonentzug wird heute meist mit Medikamenten durchgeführt oder durch die operative Entfernung des Hoden gewebes. Zu Beginn hat die Hormonentzugstherapie oft Nebenwirkungen und längerfristig kann die sexuelle Aktivität eingeschränkt werden.
Eine regelmässige Kontrolle von Wirkung und Nebenwirkungen der Therapie ist wichtig, z. B. die Kontrolle des Blutbildes. Diese kann auch beim Hausarzt erfolgen; er kennt den Patienten am besten. Die partnerschaftliche, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Spezialist und Hausarzt ist sehr wichtig.
Welche Alternativen gibt es zum Testosteronersatz?
Ein gesunder Lebensstil mit viel Bewegung, wenig Alkohol und einer ausgewogenen Ernährung kann ein Testosterondefizit wieder ausgleichen. Gesunder Sport erhöht nachweislich den Testosteronspiegel. Alle Ausdauersportarten wie Radfahren, Schwimmen und Walken kurbeln den Hormonhaushalt an. Körperliche Betätigung wie täglich eine halbe Stunde spazieren oder bei der Haus- und Gartenarbeit sind ebenso wirksam. Auch der Schwund der Muskelmasse lässt sich durch ein leichtes Krafttraining bis ins hohe Alter aufhalten. Kraftübungen, dreimal wöchentlich ausgeführt, erhöhen die Muskelkraft deutlich. Man kann zu Hause z. B. mit leichten Hanteln oder gefüllten Wasserflaschen trainieren.
Quintessenz: Der Hormonstoff wechsel des Menschen wandelt sich im Alter. Das ist Teil des normalen Alterungsprozesses und der körperlichen Veränderungen. Dass die Testosteronproduktion mit den Jahren abnimmt, ist bis zu einem gewissen Grad eine normale Entwicklung. Der Testosteronwert allein ist nicht sehr aussagekräftig. Dies ist mit ein Grund, weshalb es schwierig ist, Grenzwerte festzulegen.
Es gibt alles: Männer, die tiefe Testosteronwerte aufweisen und trotzdem vital und aktiv sind. Und solche, die trotz normalen oder gar hohen Hormonwerten über unspezifische Altersbeschwerden wie depressive Verstimmungen oder Schlafstörungen klagen. Deshalb empfehlen die Fachärzte der Urologie: «Gut überlegen, bevor man sich für eine Testosteronsubstitution entscheidet. In jeder Altersgruppe haben Medikamente eine Wirkung, gleichzeitig auch eine Nebenwirkung.»